Biene mit Apfelblüten

Gelungener Auftakt

Rückblick auf den Auftakt einer gemeinsamen Suche nach Antworten auf die Frage »Wie wollen wir miteinander leben?« in Schillers Gartenhau
Biene mit Apfelblüten
Foto: Daniel Spase (Pexels)

Meldung vom: | Verfasser/in: Fiona Daffner

Am Abend des 31.3.2023 fand in Schillers Gartenhaus die erste Veranstaltung der Reihe »Wie wollen wir miteinander leben?« statt.

Interessierte kamen dabei mit drei Vertreter*innen des Klimaentscheid Jena über die Geschichte des Bürger*innenentscheids »Jena Klimaneutral bis 2035«, die Erstellung des Klima-Aktionsplans und politisches Engagement zu Zeiten der Pandemie ins Gespräch.

Zusammengefunden hat sich die Initiative »Klimaentscheid Jena« nämlich Ende des Jahres 2020. Nach dem erfolgreichen ersten Jenaer »Parking Day« im September 2020 war gerade das Aktionsbündnis Klima & Umwelt Jena ins Leben gerufen worden, zur breiteren Vernetzung lokaler Initiativen und Projekte zu diesem Themenfeld. Schon bald darauf jedoch bedeutete das Infektionsgeschehen für Teile des Aktionsbündnisses, die von der Begegnung und dem lokalen Austausch untereinander lebten, einen erneuten Stillstand. Aus diesem Teil der Jenaer Klimabewegung, der plötzlich über viel Zeit und wenig andere Handlungsmöglichkeiten verfügte, entstand der Klimaentscheid Jena. Diese Zeit wurde zur intensiven Auseinandersetzung und (virtuellen) Diskussion mit der vom German Zero e. V. popularisierten Idee der direkten Demokratie für fundamentale Maßnahmen zum Klimaschutz genutzt. Ein Bürger*innenbegehren für Klimaneutralität sollte auch in Jena auf die Beine gestellt werden. So wurde in den folgenden Monaten größtenteils in Heimarbeit eine Abstimmungsfrage, sowie die Mobilisierung und Unterschriftensammlung für Frühling und Sommer vorbereitet. Letztere lief im Juni 2021 mit großem Erfolg an – in den ersten zwei Wochen kamen bereits knapp 1500 Unterschriften zusammen. So schloss sich die Stadtverwaltung, namentlich das Dezernat für Stadtentwicklung und Umwelt unter Christian Gerlitz, den Forderungen vollständig an und brachte sie als Beschlussvorlage in die nächste Stadtratssitzung ein, wo sie mit großer Mehrheit angenommen wurden.

Zunächst sollte bis September 2022 ein Klima-Aktionsplan erstellt werden, womit die Agentur target GmbH beauftragt wurde. Die Öffentlichkeit konnte sich während dieses Prozesses nicht nur immer wieder über den Stand der Arbeit informieren, sondern in allen Bereichen auch selbst einbringen. Dafür wurde ein Onlineportal eingerichtet, und der Runde Tisch Klima und Umwelt (kurz: RTKU) sowie die Stadt Jena veranstalteten jeweils eine öffentliche Veranstaltung, bei der sich Bürger*innen informieren und miteinander sowie mit einem Vertreter der target GmbH und ein paar Mitarbeiter*innen der Stadt Jena konkrete Vorschläge und Einwände diskutieren konnten. Hannes Scheffel von Klimaentscheid Jena sagte dazu damals: »Der Klima-Aktionsplan wird genau aufzeigen, was nötig ist, um das 1,5°-Ziel auf Jena gerechnet einzuhalten. Und wir – der Klimaentscheid wie auch die gesamte Bewegung – können die kommenden politischen Entscheidungen nun daran messen. Wenn nötig, werden wir an den jetzt gefassten Beschluss erinnern.«

Bereits in der Zeit vor Abschluss dieses Prozesses wurde erkennbar, dass eine Erinnerung einigen Mitgliedern des Stadtrats gutgetan haben dürfte, stellten unsere Gäste vom Klimaentscheid rückblickend fest. Während vonseiten der Bevölkerung die Beteiligung an der Erstellung des KAP groß war, kann das von den meisten Fraktionen im Stadtrat nicht behauptet werden.

Erst jetzt, da der Klima-Aktionsplan vorgestellt ist und auf seinen Beschluss wartet, setzt sich der Stadtrat damit auseinander. Das bedeutet, dass die Abstimmung darüber nun bereits zwei Mal vertagt wurde – am 22. Februar 2023 konnte die Abstimmung nicht stattfinden, da es noch »zu viel Redebedarf« gebe, am 22. März stand von vornherein so viel auf der Tagesordnung, dass der Tagesordnungspunkt KAP, für den keine Begrenzung der Redezeit vorgesehen war, darauf keinen Platz mehr fand. 

An der Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe führt kein Weg vorbei – aber wie wird diese Auseinandersetzung am Ende auch produktiv? Neben Kritik und Frustration war bei unserer Diskussionsrunde aber auch ein »optimistischer Realismus« vernehmbar. Als ein Kernproblem wurde von den Gästen die politische Lagerbildung identifiziert. Diese gelte es unter Bürger*innen wie auch im Stadtrat zu vermeiden bzw. zu überwinden, um eigentlich gemeinsame Ziele nicht ständig hintanzustellen. Das bedeutet nicht nur, sich innerhalb dieser beiden Gruppen nicht gegenseitig auszugrenzen, sondern als Bürger*innen auch das Gespräch mit Politiker*innen zu suchen. Gerade auf der kommunalen Ebene ist das niedrigschwellig möglich und kann viel bewirken. Unsere Gäste kamen aber auch auf den Handlungsbedarf in anderen Lebensbereichen zu sprechen: an den jeweiligen Arbeitsplätzen, im eigenen Familien- und Freundeskreis, in den Strukturen der Universität. Es gibt kein Patentrezept für die Thematisierung der Klimakatastrophe, und erst recht nicht dafür, von dort aus ins Handeln zu kommen. Wie die Mitglieder des Klimaentscheids auch bestätigten, ist es daher umso wichtiger, sich zusammenzutun, Erfahrungen und Ideen auszutauschen, aber auch Aufgaben zu verteilen. Das ist auch wichtig für den langen Atem, der für die fundamentale Umstellung der großen und kleinen Systeme, in denen wir leben, nötig sein wird. Der Klima-Aktionsplan ist ein Meilenstein auf dem Weg der Umstellung unserer öffentlichen Einrichtungen, aber es liegt noch viel vor uns. Wir müssen einen weiten Weg, aber auch viele weitere Aufbrüche in anderen Systemen gemeinsam bewältigen.

So bleibt zu »Jena Klimaneutral bis 2035« schließlich noch festzuhalten, worauf Janka Vogel vom KEJ gegen Ende unseres Abends hingewiesen hat: dass es dabei zunächst ›nur‹ um ein Anliegen geht, ab einem bestimmten Zeitpunkt keinen weiteren Schaden mehr zu verursachen. Nicht enthalten sind im Klima-Aktionsplan Anpassungsstrategien für die bereits sicheren klimatischen Veränderungen, und auch Fragen der Klimagerechtigkeit – lokal wie global – werden ausgeklammert. Keinen weiteren Schaden anzurichten, was mit dem Klima-Aktionsplan erreicht werden soll, ist unter beiden dieser Gesichtspunkte das absolute Minimum. Als Bewohner*innen des globalen Nordens ist unsere Lebensgrundlage auch im Jahr 2023 noch die Ausbeutung und Zerstörung des Planeten – auch auf Kosten unserer Mitmenschen in anderen Erdteilen, wo die Folgen dieser Ausbeutung seit Jahrzehnten unübersehbar sind. Daraus ergibt sich eine Verantwortung für mehr als unsere relativ kleine Stadt und ihr Umland, und über Einkommens- und Vermögensklassen hinweg. Wenn das erst verstanden wird, wenn sich diese Ungleichheit auch in unserer eigenen Gesellschaft nicht mehr abstreiten lässt, wird es vielleicht bereits zu spät sein, um noch etwas zu kitten. Werden Anpassungen an den Klimawandel versäumt, werden auch in Jena nicht alle gleichermaßen leiden. Wer es sich leisten kann, wird klimatisiert wohnen, arbeiten und mobil sein. Jene sozialen Gruppen, die bereits jetzt den geringsten Anteil an klimaschädlichen Emissionen verursachen, haben wenig bis keine Möglichkeiten, individuell vorzusorgen. Sie werden mit dem Fortschreiten der Klimakatastrophe nicht nur auf vieles mehr verzichten müssen, ihre Gesundheit und Sicherheit selbst werden nicht mehr gewährleistet sein.

 

Dieser Rückblick hat Zeit gebraucht, auch, damit wir im Schillerhaus die Themen unserer nächsten Gespräche abwägen konnten. Inzwischen stand der Klima-Aktionsplan zum dritten Mal auf der Tagesordnung des Stadtrats. Ich war unter den zirka 150 Besucher*innen, die am 19.4.2023 im Alten Rathaus dabei waren, als der KAP mit den Stimmen aller Fraktionen außer der AfD beschlossen wurde. Fast jede Fraktion machte vor der Abstimmung einen Redebeitrag, um den bisher Beteiligten zu danken und auf die Umsetzung einzuschwören. Der Beitrag von Lothar König von den »Bürgern für Jena« war anders. Er war zugleich der negativste und der positivste Beitrag, und der einzige, der von uns Gästen Applaus bekam. Einerseits widersprach König seinen Vorredner*innen, die den Klima-Aktionsplan als ›ambitioniert‹ bezeichnet hatten. Mit Verweis auf ein halbes Jahrhundert, das in Sachen Klimaschutz »verplempert« wurde, sagte er: »Ambitioniert wäre, wenn ihr gesagt hättet [20]30. […] Oder vielleicht sogar [20]20.« Es ginge nicht um Mehrheiten und Kompromisse im Stadtrat: »Es kommt doch nicht auf uns drauf an […]. Leute, was wir da sehen, wenn wir mal beim Fenster rausgucken […], das sind hier die Fauna und Flora; das ist vor 60 Millionen Jahren, so ungefähr, entstanden, nach und nach, und heute stehen wir davor, dass wir es geschafft haben, alles wegzurationalisieren, kaputtzumachen. Es steht doch diese Erde auf dem Spiel.« Ob sie es zugeben würden oder nicht, mit einem dürfte König wohl allen Anwesenden aus der Seele gesprochen haben: »Wir fangen an und wissen noch gar nicht, wo’s hingeht, aber wir wollen wohin, wo wir auch in zwanzig oder gar dreißig Jahren noch eine Erde finden, die zumindest in Ansätzen wiederzuerkennen ist«

Mit Rückgriff auf Antoine de Saint-Exupéry blickt Lothar König auf diese gewaltige Aufgabe, vor der wir stehen, so: »Wenn ihr ein Schiff bauen wollt, wenn ihr etwas ganz Großes vorhabt, dann organisiert nicht Arbeiter, Nägel, Bretter, und was man so alles braucht dafür, sondern weckt die Lust und die Sehnsucht nach dem weiten, unendlichen Meer. Darum geht es.« Jenaer Kleingärten, einer der Punkte im Klima-Aktionsplan, die zuvor für Diskussionen gesorgt hatten, seien für das globale Klima letztlich unwichtig. »[A]ber von dem Inneren her, was ein Garten ist, ein Baum, wo Schmetterlinge fliegen, oder Apfelblüten sind und so weiter ‒ ob der groß oder klein ist, völlig nebensächlich ‒ sondern diese Lust, diese Erde zu erhalten und was hier drauf fleucht und wächst. […] Weckt mal ein bisschen Lust, auf diese Änderung. […] Lust wecken auf Anderes, auf Wanderwege, Fahrradwege, und was es so alles gibt. Allein im Wald mal wieder rumzulaufen und so fort. Das ist entscheidend, und da Lust zu wecken, das schaffen wir, Leute.« 

 

Werte Leser*innen!

Der blühende Apfelbaum in Schillers Garten leuchtet wie eine weiße Wolke, und ich möchte glauben, dass wir das schaffen.
Vielleicht sehen wir uns beim nächsten Mal, wenn wir gemeinsam überlegen: »Wie wollen wir miteinander leben?«.

 

 


Zitat Hannes Scheffel: https://rathaus.jena.de/de/jena-wird-klimaneutral-bis-2035Externer Link
Zitate Lothar König: https://www.jenatv.de/sendungen/12/4811/Stadtratssitzung_vom_19_04_2023.htmlExterner Link