»In einem der romantischsten Thäler, welche der Lauf der sächsischen Saale bildet, liegt Jena, eine Stadt von unbeträchtlichem Umfang, aber berühmter als viele grössere, durch die gelehrte Anstalt, deren Sitz sie ist«. Mit diesen Worten kennzeichnet der Künstler Jacob Roux im Jahre 1806 die besondere Bedeutung seiner Vaterstadt. Tatsächlich verdankte Jena, das damals kaum mehr als 2500 Einwohner zählte, seinen weit über das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach hinausreichenden Ruf vor allem der Universität. Diese hatte in der Regierungszeit des kunstsinnigen und wissenschaftlich vielseitig interessierten Herzogs Carl August eine erstaunliche Entwicklung genommen. Da die Jenaer Hochschule keine hohen Gehälter bieten konnte, bemühte man sich in besonderer Weise um die Verpflichtung von jungen und aufstrebenden Gelehrten. Seit 1789 hielt Friedrich Schiller als außerordentlicher Professor historische und ästhetische Vorlesungen. Bereits zwei Jahre zuvor war Carl Leonhard Reinhold berufen worden, der zu den wirksamsten Verbreitern und Auslegern der Kantischen Philosophie zählte. Mit Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, die nacheinander von 1794 bis 1801 an die Universität Jena berufen wurden, wurde die Stadt zum Ausstrahlungsort frühidealistischer Philosophie. Von Fichtes »Wissenschaftslehre« (1794) über Schellings »System des transzendentalen Idealismus (1800)« und den Vorlesungen zur »Philosophie der Kunst« [1802-1803] bis hin zu Hegels »Phänomenologie des Geistes« (1807) entstanden hier grundlegende Werke moderner Philosophie.
Großen Anteil an diesem Aufschwung hatte Johann Wolfgang von Goethe, der sich weit über seine amtlichen Pflichten und seine Berufungspolitik hinaus um die Universität bemühte und oft wochen- bzw. monatelang in Jena weilte. Auf seine Initiative geht auch die Anlage des Botanischen Gartens zurück. In Jena hat Goethe auch seine eigenen Naturstudien vorangetrieben. So gelang ihm hier, unterstützt von dem Mediziner und Anatom Justus Christian Loder, die Entdeckung des menschlichen Zwischenkieferknochens. Im Anschluss an eine Sitzung der Jenaer Naturforschenden Gesellschaft fand im Juli 1794 auch die entscheidende Begegnung statt, die die Freundschaft und enge Zusammenarbeit zwischen Goethe und Schiller begründete: das »Glückliche Ereignis«. Im Dezember 1794 trafen sich beide mit Alexander und Wilhelm von Humboldt zu einem grundlegenden Austausch über Fragen der Naturforschung. Schon im Februar des Jahres war Wilhelm von Humboldt von Berlin nach Jena gezogen, um Schiller nahe zu sein.
Karl Ludwig von Knebel gegenüber gibt Goethe Ende März 1797 eine kleine Übersicht über die aktuellen Projekte »der Freunde und Kunstverwandten« in Jena, die zur inneren Teilnahme auffordern:
»Schiller ist fleißig an seinem Wallenstein, der ältere Humboldt arbeitet an der Übersetzung des Agamemnon von Aeschylus, der ältere Schlegel an einer des Julius Cäsar von Shäkespear, und indem ich so sehr Ursache habe über die Natur des epischen Gedichts nachzudenken, so werde ich zugleich veranlaßt auch auf das Trauerspiel aufmerksam zu seyn, wodurch denn manches besondere Verhältniß zur Sprache kommt.
Dabey bringt noch die Gegenwart des jüngern von Humboldt, die allein hinreichte eine ganze Lebensepoche interessant auszufüllen, alles in Bewegung was nur chemisch, physisch und physiologisch interessant seyn kann, so daß es mir manchmal recht schwer ward mich in meinen Kreis zurück zu ziehen.
Nimmst du nun dazu daß Fichte eine neue Darstellung seiner Wissenschaftslehre, im Philosophischen Journal, herauszugeben anfängt, und daß ich, bey der speculativen Tendenz des Kreises in dem ich lebe, wenigstens im Ganzen Antheil daran nehmen muß, so wirst du leicht sehen, daß man manchmal nicht wissen mag wo einem der Kopf steht, besonders wenn noch reichliche Abendessen die Nacht verkürzen und die den Studien so nöthige Mäßigkeit nicht begünstigen. Ich freue mich daher bald wieder nach Weimar zu kommen um mich wieder in einem andern Kreise zu erholen. Unglaublich aber ist's was für ein Treiben die wissenschaftlichen Dinge herumpeitscht und mit welcher Schnelligkeit die jungen Leute das, was sich erwerben läßt, ergreifen.«
Die Ballung geistiger Kräfte in Jena übte eine große Anziehungskraft auf das gelehrte Deutschland aus: Viele Persönlichkeiten wie Friedrich von Hardenberg (Novalis) und Friedrich Hölderlin studierten in der Saalestadt, die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zur Keimzelle auch der frühromantischen Bewegung wurde. Auf Schillers Vorschlag hin zog zunächst August Wilhelm Schlegel 1796 nach Jena. Sein jüngerer Bruder Friedrich folgte ihm bald nach. August Wilhelm Schlegel erhielt 1798 einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität, Friedrich wurde 1801 an der Universität habilitiert und hielt anschließend seine Vorlesungen über Transzendentalphilosophie. Bereits Im November 1799 fand das »Romantikertreffen« in Jena statt, an dem neben den Brüdern Schlegel, Caroline und Dorothea Schlegel auch von Hardenberg, Schelling und Ludwig Tieck teilnahmen.
Die differenzierte Erschließung des Jenaer (und Weimarer) Mikrokosmos um 1800 und seiner Bedeutung für die kulturellen Entwicklungen der Moderne gehört zu den Forschungsaufgaben von Schillers Gartenhaus. Fokussiert wird in einem Projekt auch das Dispositiv der Bildung, das sich um 1800 in Jena entfaltet und ein neues Selbstverständnis universitärer Lehre und Forschung begründet.